Ludwig Uphues:
Wie selektiert der Raufußkauz Aegolius funereus seinen Brutplatz? Nistökologische Erkenntnisse zum Schutz dieser Art
Während der 30-jährigen Untersuchungen einer kleinen Raufußkauz-Population in natürlichen Höhlen des Wietzenbruches, am südlichen Rand der Lüneburger Heide gelegen, wurde in den ersten 15 Jahren kontinuierlich zur Ergänzung der in Althölzern der Kiefern Pinus sylvestris noch vorhandenen Höhlen des Schwarzspechtes, Nistkästen aufgehängt. Diese dienten als Brücken zwischen bekannt gewordenen Bruten des Raufußkauzes in natürlichen Höhlen und den bislang überwiegend jüngeren, noch unbewohnbaren Kiefernbeständen des bis ca. 1990 bewirtschafteten Altersklassenwaldes.
Nach Beendigung des kontinuierlichen Zuwachses an Nistkästen stellte ich nach ca. 20 Jahren eine zunehmende Vermeidung der inzwischen auf ca. 350 Nistkästen angewachsenen Brutplatzmöglichkeiten fest. Diese Vermeidung korrelierte gleichzeitig mit einer zunehmende Nest-Prädation durch den Baummarder. Sie betrug sowohl in Höhlen des Schwarzspechtes wie auch in Nistkästen trotz intensiver Schutzmaßnahmen ca. 50 %. Aufgrund der inzwischen gewonnenen Hypothese, dass der Raufußkauz das Risiko der Nest-Prädation vermeiden möchte, um in neuen oder umgehängten Nistkästen erfolgreicher brüten zu können, begann ich ein 7-jähriges Experiment. Jährlich wurden ca. 80 Nistkästen, verteilt in mehreren Forstorten, an neuen Stellen so aufgehängt, dass diese vom Baummarder vom alten Standort nicht mehr gesehen werden konnten. Diese Hypothese erfolgte kongenial unabhängig von den Untersuchungen durch Sonerud (1985). Verglichen mit dem 7-jährigen Zeitraum vor dem Experiment stellte ich in jedem Jahr wieder eine erhöhte Annahme der umgehängten Nistkästen zur Brut fest. Die Anzahl der Nistkasten-Bruten wurde in dem Zeitraum des Experiments verdreifacht (Faktor 3,4). Der Anteil der neuen Bruten fand zu 90 % in 1-3-jährigen Nistkästen statt und nur noch 10 % in Nistkästen, die älter als 3 Jahre alt waren. Die Selektion von neuen oder umgehängten Nistkästen war in allen 7 Jahren signifikant.
Von den gesamten Nistkasten-Bruten des Experiments erfolgten 54 % im ersten, 24 % im zweiten und 12 % im dritten Jahr nach dem Umhängen der Nistkästen. Die Nestprädation und deren Vermeidung sind entscheidende Komponenten für die Fitness eines Individuums und spielen eine wichtige Rolle in der Evolution einer Art. Der Anteil erfolgreicher Bruten war im ersten Jahr nach dem Umhängen am höchsten. Er betrug bei 68 Bruten durchschnittlich 57,9 %. Die Anteile erfolgreicher Bruten betrugen max. 87,5 % im Jahr 1998 und 71,4 % im Jahr 2004; min. 20 % im Jahr 2002. Das schlechte Ergebnis im Jahr 2002 korreliert mit der geringen Beutetierdichte und der geringen Gelegegröße von durchschnittlich 3,7.
Der Anteil erfolgreicher Bruten im zweiten und dritten Jahr nach dem Umhängen reduzierte sich jeweils um 23 % und war negativ korreliert mit dem Alter der Nistkästen. Erst in Jahren mit geringer Annahme stieg der Erfolg wieder an.
Diese Erkenntnisse, dass eine Raufußkauzpopulation die vorhandenen Höhlen für ihre Bruten nach neuen Höhlen selektiert, dürfte von großer Bedeutung für den Artenschutz des Raufußkauzes und weiterer Höhlennachnutzer sein. Die Nestprädation durch den Baumarder, der einmal gefundene Brutplätze zur Nahrungssuche immer wieder aufsucht, wurde durch die Altersklassenbewirtschaftung der Wälder in Verbindung mit der viel zu geringen Festlegung der Zielstärken von Laub- und Nadelwald und der dadurch ausgelösten Konzentration von natürlichen Höhlenzentren in sog. Altholzinseln begünstigt.
Um den Erhaltungszustand dieser Art in den Wirtschaftswäldern zu verbessern, sind die Zielstärken von Laub-und Nadelbäumen zu erhöhen, damit flächendeckend neue natürliche Höhlen entstehen können. Im Falle eines Nistkasten-Managements ist dieses Angebot bei hoher Marder-Abundanz mindestens alle drei Jahre zu erneuern. Vor dem Hintergrund des Klimawandels und dem Schutz höhlenbrütender Arten müssen die Wälder nach Ibisch (2019) wieder älter und bei notwendigen Schutzmaßnahmen durch den Menschen effizienter und erfolgreicher werden.
Christian Harms:
Ungewöhnliche Brutnachbarschaft: Gänsesäger Mergus merganser und Uhu Bubo bubo reproduzieren gleichzeitig in benachbarten Lösshöhlen (zwei Meter Abstand)
Gänsesäger haben in den vergangenen Jahrzehnten ihr Brutareal in der Oberrheinebene (Baden-Württemberg) beträchtlich erweitert. Dabei stoßen sie auf ein limitierendes Angebot geeigneter Brutplätze. Ein Uhupaar hatte in einer geräumigen Lösshöhle am nordöstlichen Kaiserstuhl mit durchschnittlich 3,67 ausgeflogenen Jungvögeln in den Jahren 2014-2016 außerordentlich erfolgreich reproduziert.
Ab 2017 wurde die Uhu-Bruthöhle zum Schauplatz einer heftigen Auseinandersetzung mit Gänsesägern, welche die Höhle für sich reklamierten. Zweimal in den vergangenen fünf Jahren mussten die Uhus dem Druck der Gänsesäger weichen und für ihre Brut einen geringerwertigen Platz verwenden. Mindestens fünf Uhu-Nestlinge gingen in den Brutplatzauseinandersetzungen bisher verloren. 2021 kam es in der Lösswand zu einer ungewöhnlichen Brutnachbarschaft von Gänsesägern und Uhus. In zwei Höhlen, nur zwei Meter voneinander entfernt, gelang beiden Arten die Aufzucht ihrer Jungen. Intensive Beobachtung und der gleichzeitige Einsatz einer Videokamera ermöglichten es mir, die Geschehnisse während des gesamten Brutverlaufs beider Arten im Detail zu dokumentieren. Erst nach heftigen Streitigkeiten mit mehreren Konkurrentinnen gelang es einem Gänsesäger-Weibchen, eine der beiden Lösshöhlen für eine Brut zu übernehmen.
Am 29. April sprang das Weibchen mit 10 Pulli aus seiner Bruthöhle ab. Die drei Junguhus verließen am 2. Mai ihre Bruthöhle und erreichten im Sommer ihre Flugreife. Während der Brut- und Nestlingszeit der Uhus versuchten Gänsesäger-Weibchen immer wieder, die Uhu-Bruthöhle zu besetzen. Nachdem die Uhus ihre Höhle verlassen hatten, wurde sie von Gänsesägern übernommen; zu einer Brut kam es jedoch nicht, da die Männchen das Gebiet bereits Ende April verlassen hatten. Mehrere Gänsesäger-Weibchen zeigten erstmalig 2021 ein starkes Interesse am Kamin eines Rebhäuschens als potenziellem Brutplatz, ein weiteres Indiz für den Brutplatzmangel in der Region.
Helmut Kruckenberg & Thorsten Krüger:
Current status of the Lesser White-fronted Goose Anser erythropus in Northwest Germany (Lower Saxony and Bremen),
an important stop-over and wintering area
Seit den 1950er Jahren ist der Bestand an Zwerggänsen Anser erythropus im gesamten Verbreitungsgebiet dramatisch zurückgegangen (Mikander 2015). Heute ist die Zwerggans eine der am stärksten gefährdeten Wasservogelarten in Europa. Krüger & Kruckenberg (2011) konnten zeigen, dass die Art in Niedersachsen seit Beginn des 20. Jahrhunderts häufiger beobachtet wurde. Ein Forschungsprojekt des NABU Niedersachsen untersuchte daher von 2012-2015 intensiv die Bedeutung Nordwestdeutschlands für diese Art. Als ein Ergebnis präsentieren wir neue und ergänzte Daten zum Vorkommen der Zwerggans in Niedersachsen für den Zeitraum 1980-2016. In diesem Zeitraum kam es zu einem starken Anstieg der Beobachtungen, sodass die Zwerggans heute als seltener, aber regelmäßiger, jährlich vorkommender Zugvogel in Niedersachsen charakterisiert werden darf. Die Zahl der Beobachtungen in Niedersachsen erreichte in den Jahren 1999/2000 bis 2007/08 ihren Höhepunkt und nahm danach ab. Ein deutliches Muster in der räumlichen Verteilung lässt sich erkennen: der Schwerpunkt liegt im Nordwesten Niedersachsens in der Region Ostfriesland. Dazu gehört die Ems-Dollart-Region (Rheiderland, Emsmarschen) mit der Krummhörn, einschließlich der Leybucht. Weitere wichtige Rastgebiete sind die Mittel- und die Unterelbe. Leider gibt es nur wenige Informationen über die Herkunft der Vögel.
Der größte Teil der schwedischen Zwerggänse ist farblich markiert. Die Beobachtung vieler unmarkierter Vögel lässt daher eine Mischung mit russischen und norwegischen Vögeln vermuten. Alle diese Daten zusammengenommen zeigen, dass Niedersachsen (NW-Deutschland) ein Teil des winterlichen Verbreitungsgebiets der Zwerggänse ist. Dies gilt für die Individuen, die in die Niederlande weiterziehen. Gleichzeitig spicht viel dafür, dass auch Individuen in Niedersachsen überwintern. Das Vorkommen dieser hochgradig gefährdeten und geschützten Art muss sich daher auch in den Schutzbemühungen auf rechtlicher und praktischer Ebene wiederfinden (z. B. in den Schutzplänen der Vogelschutzgebieten oder Jagdbestimmungen).
Moritz Meinken:
Stelzenläufer Himantopus himantopus in Deutschland – von der Ausnahmeerscheinung zum regelmäßigen Brutvogel
Stelzenläufer sind eine weltweit verbreitete Art, welche in Europa hauptsächlich an Flachwasserseen und in Sumpflandschaften im Süden vorkommt. In Deutschland kommt die Art schon immer als unregelmäßiger Gast in geringer Zahl vor. Die Entwicklung der Nachweise und Bruten sowie die Ökologie der Art in Deutschland werden in diesem Artikel ausgewertet und diskutiert. Kriterien zur besseren Einschätzung von Brutverdachten wurden herausgearbeitet. Dafür wurden alle verfügbaren historischen Nachweise sowie Daten der Meldeplattform ornitho.de verwendet.
Das Vorkommen von Stelzenläufern wurde beherrscht von Einflugjahren, wie sie 1964 und zwischen 1998 und 2000 stattfanden. Diese führten zu einigen Nachweisen und in der Folge zu Bruten. Abseits davon erfolgten nur einzelne Bruten pro Dekade. Ab 2012 stiegen die Nachweise und Bruten, mit bis zu 17 Brutpaaren im Jahr 2020, stark an. Insgesamt gelangen 99 Brutnachweise in Deutschland. Viele Bruten erfolgten in Norddeutschland im Küstenhinterland.
Die meisten Paare beginnen mit der Brut Ende Mai und brüten in Vogelschutzgebieten. Insgesamt konnte ein Schlupferfolg von 1,26 und ein Bruterfolg von 0,84 Jungen pro Paar ermittelt werden. Der Anstieg von Nachweisen und Bruten des Stelzenläufers in Deutschland steht im starken Zusammenhang mit ansteigenden Populationen in ganz Mitteleuropa und wird sich wahrscheinlich in den nächsten Jahren fortsetzen.
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