Die Vogelwelt Bd. 126 2/2005

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Themenheft Vogelmonitoring

Dritter Bericht zur Lage der Vögel in Deutschland

Teil 3:

  • Wat- und Wasservögel
  • Monitoring in der Normallandschaft
  • Brutvögel am Bodensee
  • Goldregenpfeifer

Anteil an den „flyway“ Populationen – angegeben ist die Maximalzahl in Prozent der relevanten „flyway“ Populationen.

Anteil an den „flyway“ Populationen – angegeben ist die Maximalzahl in Prozent der relevanten „flyway“ Populationen.

Blew, J., K. Günther & P. Südbeck:
Bestandsentwicklung der im deutschen Wattenmeer rasten­den Wat- und Wasservögel von 1987/1988 bis 2001/2002
Das deutsche Wattenmeer ist Rast-, Mauser- und Überwinterungsgebiet für mehr als 4 Millionen Wat- und Wasservögel des ostatlantischen Zugwegs; viele dieser Arten brüten in der Arktis und/oder ziehen im Winter bis nach Afrika. Seit 1980 wer­den im deutschen Wat­ten­meer jährlich mindestens zwei synchrone, in vielen Gebieten aber auch monatliche Rastvogelzählungen durchgeführt. Seit 1987 werden diese Zählungen durch Springtidenzählungen in Schleswig-Holstein und seit 1994 dann auch in Niedersachsen und den Wattenmeer-Nachbarländern Dänemark und den Niederlanden ergänzt. In dieser Arbeit berichten wir über die Entwicklung und Höhe der Rastbestände vieler für das Wattenmeer typischer Wat- und Wasservogelarten im deutschen Wattenmeer. Erstmals erfolgte für 34 Arten die Zusammenfassung der Daten sowie die Auswertung und Trendberechnung mit einheitlicher Methode (TRIM) für das deutsche Wattenmeer, vergleichbar mit der kürzlich erfolgten Auswertung für das gesamte Wattenmeer von den Niederlanden bis Dänemark. Im Zeitraum 1987–2002 zeigen vier der 34 Arten einen positiven und 14 einen negativen Trend. Für 16 Arten fluktuieren die Zahlen so stark, dass kein statistisch signifikanter Trend angegeben werden kann. Drei der vier zunehmenden Arten zeigen insgesamt Populationszunahmen oder sie profitieren von verbesserter Nahrungsverfügbarkeit bzw. Habitatveränderungen im Wattenmeer. Bei der Brandgans scheinen die Schutzbemühungen für die Mauserbestände vor der Küste von Dithmarschen, Schleswig-Holstein, zu einem leichten Anstieg geführt zu haben. Drei der abnehmenden Arten zeigen insgesamt Populationsabnahmen, wahrscheinlich aufgrund mangelnden Bruterfolgs in der Arktis oder erhöhter Wintersterblichkeit während sehr kalter Winter im Wattenmeer. Vier Arten ernähren sich zu unterschiedlichen Anteilen von Muscheln; für diese Arten verursachen möglicherweise die Faktoren Klimawechsel, zahlreichere wärmere Winter und die Muschelfischerei allein oder in Kombination die negativen Trends. Für die sieben abnehmenden Limikolenarten trifft zu, dass sie in der Arktis brüten, in Afrika überwintern und im Wattenmeer in hohen Zahlen vorkommen; folglich sind diese Arten vom Wattenmeer als unverzichtbare Nahrungsquelle abhängig, um in möglichst kurzer Zeit ihre Reserven wieder aufzufüllen. Allerdings sind mögliche Faktoren bzw. Ursachen für den Rückgang dieser Arten bisher nicht bekannt, könnten aber in der Nahrungsverfügbarkeit bzw. der Zusammensetzung der Benthosgemeinschaften begründet sein. Das Monitoringprogramm ist in der Lage, Gesamtzahlen und Bestandstrends mit einer einheitlichen Methodik zu erheben und zu berechnen; es erfüllt damit die Anforderungen internationaler Richtlinien und legt die Grundlage für eine weitergehende Analyse der Bestandsentwicklungen und der Formulierung geeigneter Schutzkonzepte.


Lage der 2005 besetzten Bundesflächen (grün) und Landesflächen (gelb).

Lage der 2005 besetzten Bundesflächen (grün) und Landesflächen (gelb).

Mitschke, A., C. Sudfeldt, H. Heidrich-Riske & R. Dröschmeister:
Das neue Brutvogelmonitoring in der Normallandschaft Deutschlands – Untersuchungsgebiete, Erfassungsmethode und erste Ergebnisse
Zunächst parallel zu einem bereits seit 1989 bestehenden Monitoringprogramm für häufige Brutvögel in Deutschland wurde 2004 mit dem Aufbau eines Brutvogelmonitorings begonnen, das auf insgesamt 1000 Probeflächen erstmals für die Entwicklung in ganz Deutschland statistisch repräsentative Trenddaten ermitteln soll. Im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz (BfN) und in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt wurden durch den Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) die Vorgehensweise bei der Auswahl der Probeflächen sowie die Erfassungsmethode festgelegt. Die jeweils 100 ha großen und quadratischen Untersuchungsflächen wurden dabei als geschichtete Zufallsstichprobe gezogen, die gewährleistet, dass sowohl die sechs Hauptlebensraumtypen (Wald, Siedlung, Grünland, Ackerland, Sonderbiotope, Sonderkulturen, Tab. 1) als auch 21 Standorttypen („Naturräume“ vgl. Abb. 1) ausreichend in der Stichprobe vertreten sind. Als Erfassungsmethode wurde die Linienkartierung ausgewählt, bei der beidseits einer ca. 3 km langen Route innerhalb der quadratischen Probefläche an vier Terminen pro Saison alle möglichen Brutvögel erfasst werden (vereinfachte Revierkartierungsmethode). Diese Route berührt dabei alle flächenmäßig bedeutsamen Lebensräume der Probefläche. Für die anschließende Auswertung gibt es standardisierte Vorgaben zur Interpretation der Nachweise. Damit wurde eine wenig zeitaufwändige Feldmethode erarbeitet, die die Mitarbeit von Hunderten von Freiwilligen über mehrere Jahre möglich macht. Gleichzeitig konzentriert sich die Erfassung bei in ganz Deutschland einheitlicher Feldmethode auf Brutvögel und ergibt jeweils einen Saisonbestand, aus dem sich näherungsweise auch Dichtewerte ableiten lassen.Insgesamt 15 Länderkoordinatoren betreuen die Zähler und bauen das Mitarbeiternetz an der Basis gemeinsam mit der Bundeskoordination auf. Im zweiten Jahr des neuen Monitoringprogramms konnten so bereits 626 von 1000 Probeflächen an Bearbeiter vergeben werden. Dazu kommen weitere 346 Probeflächen, die 2005 in einem zusätzlich gezogenen Netz von Landesmonitoringflächen ebenfalls mittels der Linienkartierung bearbeitet werden. Zur Abschätzung des Erfassungsgrades einer Kartierung entlang einer 3 km langen Route wurden 2004 auf 17 Probeflächen sowohl Linienkartierungen als auch flächige Revierkartierungen durchgeführt. Zwischenauswertungen zeigen, dass in strukturarmen Probeflächen viele Arten durch eine Linienkartierung recht vollständig erfasst werden können. In Wäldern und im Siedlungsbereich liegt der Erfassungsgrad für häufige Arten meist zwischen 40 und 60%. Hier sollen mittels eines „distance sampling“-Verfahrens artspezifische Hörradien berechnet werden, die später eine Dichteabschätzung auf Basis der linienhaften Kartierung ermöglichen. Eine weitere Aufgabe für die Zukunft besteht darin, nach einigen Jahren paralleler Durchführung einen Übergang vom seit 1989 laufenden Monitoringprogramm auf frei gewählten, nicht zufällig verteilten Probeflächen zum 2004 neu gestarteten Monitoring in der Normallandschaft zu schaffen, der weiterhin die Darstellung kontinuierlicher Trendkurven seit 1989 ermöglicht. Dafür sollen entsprechende Erfahrungen aus Großbritannien genutzt werden.


Bauer, H.-G., M. Peintinger, G. Heine & U. Zeidler:
Veränderungen der Brutvogelbestände am Bodensee – Ergebnisse der halbquantitativen Gitterfeldkartierungen 1980, 1990 und 2000
Die Bestands- und Arealveränderungen der Brutvogelarten des Bodenseegebietes wurde auf Basis halbquantitativer Linientaxierungen auf 303 Gitterfeldern à 2 x 2 km in 3 Erfassungsperioden (1980-81, 1990-92 und 2000-02) untersucht. Insgesamt wurden 159 Vogelarten festgestellt, davon brüteten 154 bei der letzten Erfassung. 52 Arten zeigten gesicherte Bestandszunahmen oder siedelten sich neu (bzw. wieder) an, 52 Arten zeigten gesicherte Bestandsrückgänge oder ihre Populationen am Bodensee erloschen; weitere 16 Arten zeigten gesicherte Arealveränderungen (meist Ausweitungen); die restlichen 37 Brutvogelarten wiesen unveränderte Bestände auf oder Bestands- oder Arealveränderungen konn­ten nicht gesichert werden. Die stärksten Verluste waren bei den Bodenbrütern des Kulturlandes und der Feuchtwiesen (und Wälder) zu verzeichnen, wo Arten wie Feldlerche und Rebhuhn auch starke Einbußen im Verbreitungsareal hinnehmen mussten. Die Gruppe der Langstreckenzieher wies anhaltend negative Trends auf und umfasst inzwischen weniger als 10% aller festgestellten Brutreviere. Im Gegensatz dazu nahm der Anteil der Standvögel deutlich zu, und überwiegend positive Bestandsentwicklungen wurden in den Ökosystemen Gewässer und in geringerem Maße in Ortschaften gefunden. Die Daten vermitteln einen generellen Trend einer niedrigeren Zahl von Vogelarten und vor allem Vogelindividuen pro Flächeneinheit und stützen die Hypothese eines Biomasseverlustes unter den Vögeln im Untersuchungsgebiet.


Vier sich duckende eintägige Goldregenpfeiferküken im Brutgebiet Esterweger Dose, Juni 2004. Foto: A.Degen

Vier sich duckende eintägige Goldregenpfeiferküken im Brutgebiet Esterweger Dose, Juni 2004. Foto: A.Degen

Exo, K.-M.:
Die Brutpopulation des Goldregenpfeifers Pluvialis apricaria im westlichen Kontinentaleuropa: zum Aussterben verurteilt?
Der Brutbestand des Goldregenpfeifers nahm am Südrand seines Verbreitungsgebietes im 19./20. Jahrhundert in Folge großflächiger Lebensraumzerstörungen dramatisch ab. Im westlichen Kontinentaleuropa beschränken sich die Brutvorkommen seit Jahrzehnten auf zwei isolierte Restpopulationen in Niedersachsen und Norddänemark. Die größere der zwei Brutpopulationen, die niedersächsische, umfasste im Jahr 2003 noch 12 Reviere, nur vier Paare schritten zur Brut. Die seit langem zu beobachtende Bestandsabnahme setzte sich fort. Diese Brutpopulation ist damit mehr denn je vom Aussterben bedroht. Aufbauend auf der in den letzten drei Jahrzehnten in Niedersachsen beobachteten Bestandsentwicklung, den in niedersächsischen Brutgebieten ermittelten Reproduktionsraten sowie Literaturdaten zu Mortalität von Alt- und Jungvögeln wird ein Simulationsmodell zur Analyse der bisherigen Bestandsentwicklung sowie zur Prognose zukünftiger Bestandstrends vorgestellt. In den Jahren 1999 bis 2003 flogen im Mittel 0,44 Jungvögel pro Paar aus. Bei unveränderter Reproduktionsrate wird der niedersächsische Brutbestand etwa im Jahr 2016 auf unter fünf Paare abgefallen sein. Werden nur 0,2 Jungvögel pro Paar aufgezogen wie in den Jahren 2002/03, oder aber wenn zwei strenge Winter in Folge auftreten sollten, fällt der Brutbestand bereits in den nächsten 5-6 Jahren auf unter fünf Paare ab. Um den Brutbestand des Goldregenpfeifers innerhalb der nächsten zehn Jahre zu verdoppeln, müsste eine jährliche Reproduktionsrate von ca. 0,9 Jungvögeln pro Paar erzielt werden. Dies erscheint nicht unrealistisch, denn im Zeitraum von 1993-1998 wurde in der niedersächsischen Population ein mittlerer Bruterfolg von 0,9 Jungvögeln pro Paar erreicht. Verluste traten in erster Linie während der Bebrütung und in den ersten zwei Lebenswochen der Jungen auf, und zwar in jüngster Zeit vorwiegend durch Prädation (Rotfuchs Vulpes vulpes) und Gelegezerstörungen in Folge industriellen Torfabbaus. Die Verluste lassen sich durch geeignete Schutzmaßnahmen (z.B. großflächige Einzäunung der Neststandorte mit Elektrozäunen, Nestschutzhauben, intensive Nest- und Jungenbewachung, Anlage von Nahrungsflächen in den Brutgebieten) reduzieren. Eine Erhaltung der deutsch-dänischen Brutpopulation erscheint nur möglich, wenn der Bruterfolg kurzfristig deutlich erhöht und langfristig gesichert werden kann.

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