Die Vogelwelt Bd. 127 4/2006

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Bei spätsommerlichem Befall durch den Buchdrucker Ips typographus verfärben sich die geschädigten Fichten im folgenden März; bis zum Sommer verlieren sie das Nadelkleid, im folgenden Winter auch das Feinreisig aus dem Kronendach (Spitzberg, März 1997). Foto: W.Scherzinger

Bei spätsommerlichem Befall durch den Buchdrucker Ips typographus verfärben sich die geschädigten Fichten im folgenden März; bis zum Sommer verlieren sie das Nadelkleid, im folgenden Winter auch das Feinreisig aus dem Kronendach (Spitzberg, März 1997).
Foto: W.Scherzinger

Scherzinger, W.:
Reaktionen der Vogelwelt auf den großflächigen Bestandeszusammenbruch des montanen Nadelwaldes im Inneren Bayerischen Wald
1983/1984 verursachten Sturmereignisse und hohe Sommertemperaturen im Inneren Bayerischen Wald ab 1986 eine Borkenkäferkalamität, die zu großräumigem Absterben der alten Fichtenwälder auf dem Mittelgebirgskamm führte. Diese Studie beschreibt die Reaktionsbreite in der Vogelwelt auf dieses Naturereignis. Das 75 ha große Untersuchungsgebiet (Gr. Spitzberg) lag im Übergangsbereich vom Mischwald aus Fichte und Buche (Ahorn) und dem Fichtenwald der Hochlagen auf 1050–1300 m NN. Seit der Gründung des Nationalparks 1970 fanden in diesem Bereich keine forstlichen Nutzungen mehr statt. Im Rahmen einer Gitterfeld­kartierung (Einzelflächen à 1 ha) in Kombination mit einer Registrierung aller Vogelindividuen je Gitterfeld wurde das Areal zwischen 1989 und 2000 insgesamt 301-mal begangen (im Mittel 25-mal pro Jahr), mit möglichst wöchentlichen Kontrollen zur Brutzeit. Die 12 Beobachtungsjahre decken eine Entwicklung vom weitgehend geschlossenen Wald bis zur nahezu baumfreien Offenlandschaft mit ungewöhnlichen Massen an Totholz ab. Im Untersuchungsgebiet wurden 71 Arten festgestellt, davon 58 typische Waldarten. Im Kartierungszeitraum erfuhr der Vogelbestand einen Zuwachs von 22 Arten, bei Verlust von 11 Arten. Im Gegensatz zur Konstanz des Brutzeitbestands mit rund 40 Vogelarten sank der Winterbestand von 24 auf acht Arten, verursacht durch eine zunehmende Dichotomie in der Entwicklung des Lebensraumangebots, mit günstigen Sommer- und pessimalen Winterbedingungen. Aus der Aufsummierung der maximalen Bestandszahlen jeder Art und jeden Jahres im Zeitraum 1989–2000 ergibt sich ein Gesamtbestand von 1498 Individuen. Wie für Montanwälder typisch, waren Buchfink, Tannenmeise und Zaunkönig die häufigsten Vogelarten.

Solange es Altfichten mit Frischbefall an Borkenkäfern gibt, brütet der Dreizehenspecht im „Käferholz“ in ungewöhnlich hoher Dichte (Spitzberg, Juni 1990). Foto: W.Scherzinger

Solange es Altfichten mit Frischbefall an Borkenkäfern gibt, brütet der Dreizehenspecht im „Käferholz“ in ungewöhnlich hoher Dichte (Spitzberg, Juni 1990). Foto: W.Scherzinger

Die jährlichen Individuensummen fluktuierten zwischen 181 (als Tiefstpunkt im Jahr 1995) und 1159 (als Höchstwert im Jahr 1996, einem besonderen Samenmast-Jahr). Vergleicht man die Frequenz einzelner Arten zur Brutzeit (in Addition aller besetzen Gitterfelder zwischen Mitte März und Ende Juni) von 1989 mit 1999, so müssen zehn Arten als Verlierer und neun Arten als Gewinner bezeichnet werden, während eine dritte Gruppe mit acht Arten keine klare Reaktion auf den Bestandszusammenbruch erkennen ließ. Zu den Gewinnern zählten zunächst die Spechte, deren Artenzahl sich von zwei auf sechs erhöhte. Im Vergleich zu „ungestörten“ Naturwäldern der Region demonstrierte die Vogelwelt eine hohe Attraktivität „gestörter“ Waldflächen während der Zusammenbruchs- und Zerfallsphase, solange Habitatstrukturen sowohl für Vogelarten des Waldinnenklimas als auch des Waldaußenklimas überlappten.

Aus der Geschichte vergleichbarer Katastrophen im Böhmerwald können Sturmwurf und nachfolgende Borkenkäfergradation im Wesentlichen als Naturereignisse aufgefasst werden. In natürlichen Ökosystemen stößt eine permanente Dynamik stets neue Zyklen aus Störung, Regeneration, Reifung und Etablierung an. Diese sind Voraussetzung für eine immer wiederkehrende Entstehung unterschiedlichster Habitate

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