Die Vogelwelt Bd. 127 1/2006

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Schwerpunktthema Großmöwen
  • Zehn Jahre Farbringablesungen an Großmöwen in Hannover
  • Brütende Großmöwen in Polen: Verbreitung, Bestände, Bestandstrends und Hybridisierung
  • Hellmantelige Großmöwen Larus spec. in Belarus – Status und Probleme
  • Phänologie südnorwegischer Mantelmöwen Larus marinus auf Helgoland (Deutsche Bucht)
Weitere Themen:
  • Nahrungsökologie der Wiesenweihe
  • Ornithologische Untersuchungen in Wäldern vor und nach Sturm
  • Habitatnutzung und Siedlungsdichte des Mittelspechts

Silbermöwe Gelb CK20 (Helsinki HT 199650): Beringt als nicht flügger Jungvogel am 5. Juli 1997 in Vehkalahti/Finnland. Foto: V.Rauste

Silbermöwe Gelb CK20 (Helsinki HT 199650): Beringt als nicht flügger Jungvogel am 5. Juli 1997 in Vehkalahti/Finnland. Foto: V.Rauste

Thye, K.:
Zehn Jahre Farbringablesungen an Großmöwen in Hannover
Im niedersächsischen Hannover wurden von 1995–2004 894 Großmöwen anhand von Farbringen und Flügelmarken identifiziert und im Hinblick auf Herkunft, Ortstreue und Phänologie ausgewertet. Die Silbermöwe L. argentatus war mit 96,8% die dominierende Art. Steppenmöwen L. cachinnans und Mittelmeermöwen L. michahellis waren mit 1,2% bzw. 1,3% fester Bestandteil der Winterpopulationen in Hannover. Der größte Teil aller abgelesenen Vögel entstammte deutschen, dänischen und finnischen Brutkolonien. 29% der Möwen entwickelten deutliche Ortstreue zu Hannover, bei 20% sind Überwinterungen belegt. Unabhängig von Herkunft und Individuenzahlen ähneln sich die Wanderungs- und Überwinterungsstrategien, wobei Hausmülldeponien als Nahrungs- und Rastplätze die entscheidenden Knotenpunkte darstellen. Von allen nach Hannover gelangten Ringmöwen hatten Jungvögel im 1. Lebensjahr mit ca. 52% den größten Anteil, mit zunehmendem Alter der Möwen nahm ihr Anteil am Winterbestand deutlich ab. Einige ausgewählte Individuen hohen Alters, repräsentativer oder ungewöhnlicher Zugschemata sowie Fälle extremer Vitalität invalider Tiere werden dargestellt. Die Entwicklung ab 2005 nach Schließung der Hausmülldeponien in Deutschland wird kurz diskutiert. Auch künftig wird die Farbberingung als sinnvoll erachtet.


Steppenmöwe am Nest, Włocławek-Stausee, April 2004. Foto: G.Neubauer

Steppenmöwe am Nest, Włocławek-Stausee, April 2004. Foto: G.Neubauer

Neubauer, G., M. Zagalska-Neubauer, R. Gwiazda, M. Faber, D. Bukaciński, J. Betleja & P. Chylarecki:
Brütende Großmöwen in Polen: Verbreitung, Bestände, Bestandstrends und Hybridisierung
Mit Silbermöwe Larus argentatus, Steppenmöwe L. cachinnans und Mittelmeermöwe L. michahellis brüten gegenwärtig drei Großmöwenarten in Polen, deren Situation hier aufgrund von eigenen Untersuchungen und publizierten Daten beschrieben wird. Silbermöwen siedelten sich in den späten 1960er Jahren an und nahmen bis zu den frühen 1990er Jahren rapide bis auf 1900–2100 Brutpaare zu. Das exponentielle Populationswachstum, das mit einer Arealerweiterung nach Süden und der Besiedlung des nordpolnischen Binnenlands einher ging, kehrte sich in den letzten Jahren wieder um, so dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts etwa 1200–1500 Paare in Polen brüteten. Im Süden des Landes nahm der Brutbestand der Steppenmöwe von 1997–2004 jährlich um 33% zu und erreichte im Jahr 2004 480 Paare. Die Mittelmeermöwe blieb dagegen eine seltene Brutvogelart, deren Brutbestand vermutlich nicht über 5–10 Paare hinaus geht. Hybridisierung findet vor allem zwischen den beiden häufigen Arten Silber- und Steppenmöwe statt. Verursacht wird sie vermutlich durch zufällige Paarbildungen in gemischten Kolonien im mittleren Polen. Am Mittellauf der Weichsel und im Włocławek-Stausee sind Mischpaare mit Anteilen von ca. 60% bzw. ca. 40% sehr häufig, in beiden Gebieten haben deshalb Hybriden einen hohen Anteil. Da die Brutkolonien in diesen Bereichen relativ instabil sind, wird der Austausch von Individuen zwischen Brutkolonien gefördert. Auch die häufig zu beobachtende Dispersion entlang einer Nord-Süd-Achse begünstigt Hybridisierungen.


Porträts von drei Brutvögeln des Snudy-Sees mit dem silbermöwentypischen „Schlangenblick“. Foto: N.Yakovets

Porträts von drei Brutvögeln des Snudy-Sees mit dem silbermöwentypischen „Schlangenblick“. Foto: N.Yakovets

Yakovets, N.:
Hellmantelige Großmöwen Larus spec. in Belarus – Status und Probleme
Seit 1982 brüten in Belarus (Weißrussland) regelmäßig Großmöwen. Dabei sind im Norden überwiegend (z. T. gelbfüßige) Silbermöwen Larus argentatus zu finden. Steppenmöwen L. cachinnans nisten vor allem im Südteil, einzelne Paare und Mischbruten mit Silbermöwen scheinen aber auch im nördlichen Landesteil vorzukommen. Es gibt Indizien dafür, dass an den Bruten im Südteil des Landes vereinzelt auch die Mittelmeermöwe L. michahellis  beteiligt ist. Die Situation in Belarus ist also durchaus mit der im polnischen und ostdeutschen Binnenland vergleichbar, wo vor allem die Steppenmöwe gegenwärtig stark expandiert. Eine genaue Aussage zur Beteiligung der einzelnen Arten an den Bruten sowie zum Umfang der vorkommenden Hybridisierung kann gegenwärtig noch nicht getroffen werden, weitere Untersuchungen an dieser neu entstandenen Kontaktzone zwischen verschiedenen Großmöwentaxa sind dringend geboten.


Farbberingte Mantelmöwe auf norwegischer Mülldeponie (Skjolner, Farsund, Vest-Agder; 30. Juni 2005). Foto: N.H.Lorentzen

Farbberingte Mantelmöwe auf norwegischer Mülldeponie (Skjolner, Farsund, Vest-Agder; 30. Juni 2005). Foto: N.H.Lorentzen

Dierschke, V. & N. H. Lorentzen:
Phänologie südnorwegischer Mantelmöwen Larus marinus auf Helgoland (Deutsche Bucht)
Anhand von Ablesungen der in Südnorwegen zahlreich farbberingten Mantelmöwen wird deren Vorkommen auf Helgoland skizziert. Demzufolge sind südnorwegische Mantelmöwen auf Helgoland vor allem als Durchzügler von Ende August bis Mitte November vertreten. Die meisten der 55 beobachteten Vögel rasteten nur kurz (wenige Tage), nur einige Individuen wurden in mehreren Jahren und über mehr als eine Woche lang festgestellt. Der Vergleich mit Beschreibungen der Phänologie auf Helgoland in vorangegangenen Jahrzehnten sowie in benachbarten Gebieten verdeutlicht eine hohe Variabilität im jahreszeitlichen Auftreten und in der Häufigkeit von Mantelmöwen in der Deutschen Bucht. Grund dafür dürften vor allem wechselnde Intensitäten der Fischerei sein, die unterschiedliche Ernährungsbedingungen (Discard) verursachen.


Hölker, M. & T. Wagner:
Nahrungsökologie der Wiesenweihe Circus pygargus in der ackerbaulich intensiv genutzten Feldlandschaft der Hellwegbörde, Nordrhein-Westfalen
In 748 Gewöllen und 133 Beuteresten aus den Jahren 1993–2002 konnten die Reste von 1525 Beutestücken, davon 938 Wirbeltiere (61,5%), 579 Wirbellose (38%) und acht Vogeleier (0,5%), nachgewiesen werden. Die Beute-Biomasse lieferten zu 98,6% Wirbeltiere, zu 1 % Wirbellose und zu 0,4% Vogeleier. Die Wühlmäuse, vor allem die Feldmaus Microtus arvalis, waren mit 41,4% der Beutetiere die bedeutendste Nahrungsquelle für die Wiesenweihe in der Hellwegbörde und lieferten im Mittel 66,3% der Biomasse. Die Wühlmäuse stellten in fünf Jahren (1993, 1995, 1998, 2000 und 2001) jeweils über 75% der Biomasse. In den wühlmausreichen Jahren lagen die Gelegegröße, die Zahl erfolgreicher Bruten und die Anzahl flügger Jungvögel über den Mittelwerten der Jahre 1993–2002. Vögel, vor allem die Feldlerche Alauda arvensis, lieferten im Mittel 30,4% der Nahrungs-Biomasse. In den wühlmausarmen Jahren 1994, 1997, 1999 und 2002 waren die Vögel mit 51,8 bis 72,1% Biomasse die Hauptbeute. Das Beutespektrum der Wiesenweihe umfasst vorwiegend Wühlmäuse und Kleinvögel mit einem Körpergewicht von 20 bis 30 g. Insekten haben bezüglich der Beutemasse keine Bedeutung.


Hohlfeld, F.:
Ornithologische Untersuchungen in einem Bann- und Wirtschaftswald vor und nach Sturm
Im Bechtaler Wald, einem Eichen-Hainbuchenwaldgebiet der Oberrheinebene, wurden durch den Orkan „Lothar“ im Dezember 1999 80% Prozent der Waldbestände geworfen. In dem betroffenen Gebiet wurden ornithologische Untersuchungen zur Siedlungsdichte in einem Bann- und Wirtschaftswald durchgeführt. Die Kartierungen fanden 1994 und 1999 vor dem Sturm und 2000 und 2001 nach dem Sturm statt. Darüber hinaus wurden von Vögeln besetzte Bruthöhlen samt ihrer Höhlenbäume erfasst. Vor dem Sturm ähnelten sich die Avizönosen der verglichenen Flächen. Höhlenbrütende Vogelarten waren im totholzreichen Bannwald jedoch häufiger als im bewirtschafteten Wald. Die Gesamtsiedlungsdichte veränderte sich überraschenderweise auf beiden Flächen durch den Sturm kaum, jedoch verlief die weitere Entwicklung in Bann- und Wirtschaftswald unterschiedlich. Die meisten Vogelarten besiedelten die Flächen nach wie vor, einige typische Waldarten verschwanden jedoch als Brutvögel von den Sturmwurfflächen. Sowohl höhlenbrütende als auch freibrütende Vögel erreichten in der ungeräumten Bannwaldfläche größere Siedlungsdichten als im geräumten Wirtschaftswald. Während sich auf den Freiflächen des Wirtschaftswalds Vogelarten des Offenlands ansiedelten, erreichten die Strauch- und Gebüschbrüter im Bannwald hohe Dichten, da dort die Kronen geworfener Bäume größtenteils wieder austrieben und eine neue „Strauchschicht“ bildeten. Stehendes und liegendes Totholz spielte für die höhlenbrütenden Vogelarten des Bannwalds nach dem Sturm eine noch wichtigere Rolle als Brutraum als vorher. Aufgeklappte Wurzelteller wurden im Bannwald von verschiedenen Vogelarten als Brutraum genutzt. Neben Eichen spielten Pionierbaum­arten wie Vogelkirschen und Birken eine wichtige Rolle als Höhlenbäume.


Kamp, J. & V. Sohni:
Habitatnutzung und Siedlungsdichte des Mittelspechts Dendrocopos medius caucasicus im nordwestlichen Kaukasus (Russland)
Im Rahmen eines avifaunistischen Kartierungsprojekts in flussbegleitenden und montanen Wäldern in der Republik Adygeya, nordwestlicher russischer Kaukasus, wurden im Mai 2004 Daten zur Habitatnutzung der kaukasischen Unterart des Mittelspechtes Dendrocopos medius caucasicus gesammelt. Unsere Beobachtungen ergaben, dass die Unterart Bestände aller verfügbaren Baumarten mit rauer Borke (einschließlich reiner Silberweiden–Zitterpappel- und Erlenwälder) nutzt. Darüber hinaus wurden Bruten in totholzreichen montanen Buchen-Tannen-Beständen und polydominanten Laubwäldern nachgewiesen. Beobachtungen nahrungssuchender Mittelspechte stammen aus Bereichen bis zur Baumgrenze. Wir nehmen an, dass der Mittelspecht im Untersuchungsgebiet alle Laubwaldbestände unabhängig von der Baumart besiedelt, solange eine ausreichende Menge an Totholz vorhanden ist. Diese Schlüsse stimmen mit neueren Forschungsergebnissen aus Mitteleuropa überein, die die traditionelle “Lehrmeinung” der Bindung des Mittelspechtes an alte Eichenwälder relativieren. Ergänzend werden von uns Daten zu Siedlungsdichte und Beobachtungen zur Stimme der caucasicus-Unterart aus dem Untersuchungsgebiet mitgeteilt. Mithilfe der gewonnenen Dichtewerte und von Forstdaten kalkulieren wir einen neuen Bestand von 8050– 9200 Paaren für den nordwestlichen Kaukasus.

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